Worum geht es?
Der Mensch ist von seinem Wesen her auf Beziehung und Partnerschaft angelegt. Er sehnt sich danach, zu lieben und geliebt zu werden und mit dem von ihm geliebten Menschen gemeinsam Zukunft zu gestalten.
Da Liebe nach Dauer verlangt, braucht die Liebe von Mann und Frau auch rechtlichen Schutz und die institutionelle Bindung, die in der Ehe gegeben sind. Auf die vorbehaltlose Liebe und unbedingte Verlässlichkeit, mit der die Partner sich selbst und ihre Kinder annehmen, sollen sie in allen Lebenslagen, auch in Unglück und Not, in Alter und Krankheit vertrauen können.
Dem steht die Erfahrung gegenüber, dass dieser Wunsch nach Beständigkeit oft nicht erfüllbar ist, Partnerschaften scheitern.
Nach einer gescheiterten Ehe aber geht der Wunsch und das Bedürfnis nach Partnerschaft häufig nicht verloren und in einer neuen Beziehung kann neues Glück erfahrbar sein. Oft entsteht der Wunsch nach einer zweiten Chance, einer zweiten Ehe, die die Kirche aus theologischen Gründen nicht legitimieren kann.
In einem kirchlichen Verfahren kann jedoch überprüft werden, ob die erste Ehe im katholischen Verständnis tatsächlich „gültig“ geschlossen wurde.
Wird die erste Eheschließung durch ein Kirchengericht für „ungültig“ erklärt, steht einer kirchlichen Trauung nichts mehr im Wege.
Rahmenbedingungen des kirchlichen Verfahrens
Im Verfahren selbst werden der Antragsteller, nach Möglichkeit die nichtantragstellende Partei sowie Zeugen, die um den behaupteten Sachverhalt möglichst aus eigenem Erleben wissen, persönlich befragt.
Die Befragungen finden am Sitz des Gerichtes oder an einem anderen geeigneten Ort statt. Die Beteiligten begegnen sich im Laufe des Verfahrens nicht und es kommt auch zu keiner Hauptverhandlung.
Als Beweismittel kommen auch Urkunden, Briefe, Gutachten u.a. in Betracht. Die Parteien können sich der Hilfe eines beim kirchlichen Gericht zugelassenen Anwalts bedienen.
Ein so genannter Ehebandverteidiger tritt im Verfahren für das Festhalten an der Gültigkeit der Ehe ein.
Was ist das Besondere des christlichen Eheverständnisses?
Das Ja-Wort, mit dem das Paar die Ehe begründet, wird als unwiderrufliches personales Einverständnis aufgefasst: Einverständnis darüber, dass sich die Partner gegenseitig schenken und annehmen und in enger Verbundenheit durch ihr Tun und Helfen erfahren und vollziehen, dass sie durch die Heirat nicht mehr zwei sind, sondern „ein Fleisch“ (Matthäus 19, 6).
Das bedeutet nicht, dass die Individualität von Mann und Frau aufgehoben ist oder negiert werden soll, wohl aber, dass sie zusammen durch die Eheschließung eine neue Einheit bilden. Diese Einheit hat wegen der totalen gegenseitigen Annahme ohne Einschränkungen, der eben unbedingten Liebe, die Unauflöslichkeit der Ehe zur Folge.
Warum ist die Wiederheirat Geschiedener für die katholische Kirche ein Problem?
Die Partner dieses ehelichen Bundes sind nicht austauschbar. So ausschließlich und unbedingt, wie Christus den Bund mit der Kirche geschlossen hat, so ausschließlich und unbedingt wird die Ehe von Mann und Frau, die durch ihr Ja-Wort am Tag der Trauung begründet wird, als eine unwiderrufbare Wirklichkeit betrachtet.
Mit einer kirchlich legitimierten Wiederheirat zu Lebzeiten des ersten Ehepartners würde der Gedanke der Exklusivität und Unbedingtheit der Ehe als Zeichen der Verbindung Christi zu seiner Kirche verletzt.
Was ist mit den Kindern aus erster Ehe?
Da es im kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren um die religiöse Dimension der Ehe geht und nicht um die Ehe in ihrer soziologischen Rücksicht, gelten Kinder aus einer für nicht gültig geschlossen erklärten Ehe nach wie vor als ehelich.
Gilt eine solche Auffassung für jeden, der eine Ehe schließt?
Die katholische Ehelehre hat ihre Grundlage in der Schöpfungsordnung, wonach Mann und Frau sich dauerhaft aneinander binden, um sich gegenseitig zu erfüllen, Kinder zu zeugen und diese zu erziehen. Aus dieser grundsätzlichen Auffassung ergibt sich, dass jedem, der eine Ehe schließt, unabhängig von seiner Religions- oder Konfessionszugehörigkeit, der Wille dazu unterstellt wird. Das bedeutet, dass bis zum Nachweis des Gegenteils von der Gültigkeit jeder Eheschließung ausgegangen wird, die beide Partner mit dem Tag der Heirat wegen der religiösen Dimension der Ehe unauflöslich aneinander bindet.
Wie wird das Verfahren eingeleitet?
Strebt jemand die Nichtigkeitserklärung seiner Eheschließung an, sollte er mit einem Mitarbeiter des kirchlichen Gerichts ein Vorgespräch führen. Darin wird zunächst geprüft, ob es überhaupt einen hinreichenden Verdacht gibt, die Nichtigkeit der Ehe anzunehmen.
Neben der Notwendigkeit eines anerkannten Nichtigkeitsgrundes bedarf es weiter eines ausreichenden Beweisangebotes, um die Nichtigkeitsbehauptung auch stützen zu können. Besteht ein Grund und kann der aller Voraussicht nach auch bewiesen werden, kann eine so genannte Klageschrift formuliert und beim zuständigen Diözesangericht eingereicht werden. Zu der Zeit sollte feststehen, dass eine Versöhnung der Eheleute unmöglich erscheint.
Muss der frühere Partner beteiligt werden?
Das kirchliche Verfahrensrecht sieht vor, dass der nichtantragstellende Partner über das Verfahren unterrichtet und ihm die Möglichkeit gegeben wird, selbst zu der Sache Stellung zu nehmen. Es wäre einerseits unfair, sich mit seiner Ehe zu befassen, ohne ihn zu beteiligen, andererseits dient es der Objektivierung des Verfahrens, um den Verdacht der Vorteilsnahme auszuschließen.
Eine Zustimmung zum Verfahren muss der frühere Partner allerdings nicht geben.
Wie lange dauert das Verfahren und was kostet es?
Das Verfahren erster Instanz soll innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein. Je nach Aufwand, der betrieben werden muss, kann sich die Frist aber auch verlängern. In zweiter Instanz ist je nach Umfang der Sache mit weiteren drei bis sechs Monaten zu rechnen. Die Kosten des Verfahrens werden zum größten Teil mit Kirchensteuermitteln finanziert. Der Antragsteller wird mit einer Gebühr von 200,- € in erster und weiteren 100,- € in zweiter Instanz beteiligt. Es können weitere Kosten entstehen, wenn besondere Auslagen (z.B. Fachgutachten) eingeholt werden müssen. Bei Bedürftigkeit können die Kosten reduziert werden. In keinem Fall scheitert ein Verfahren an den Kosten.
Wo ist das Verfahren zu führen?
Die Zuständigkeit für ein Ehenichtigkeitsverfahren richtet sich alternativ nach dem Ort, an dem die Ehe geschlossen wurde oder wo der nichtantragstellende Partner seinen Wohnsitz hat. Grundsätzlich kann man sich aber an jedem kirchlichen Gericht (Offizialat) informieren und beraten lassen.
Wie passen Anspruch und Wirklichkeit zusammen?
In den letzten Jahren nimmt die Zahl der Scheidungen in Deutschland stetig zu. Oft sind auch Christen Betroffene. Gleichzeitig ist eine Abnahme des Wissens über die religiöse Dimension der Ehe zu beobachten, so dass die Annahme, dass alle Eheschließenden ihre Ehe so wollen, wie die katholische Kirche sie versteht, immer häufiger gar nicht zutrifft. Solange aber niemand dies für seine Ehe infrage stellt, wird die Gültigkeit der Ehe vermutet.
Die Trennung der Eheleute oder ihre zivile Scheidung beeinträchtigen das Bestehen des einmal geschlossenen Ehebundes in seiner religiösen Dimension nicht.
Kann die Vermutung der Gültigkeit widerlegt werden?
Wenn einerseits jedem Eheschließenden der rechte Ehewille unterstellt wird, muss immer auch die Möglichkeit bestehen, diese Annahme zu überprüfen. Dazu dient ein kirchliches Verfahren, das die Behauptung der Ungültigkeit der Eheschließung prüft.
In einem solchen Verfahren geht es nicht darum, die Schuldfrage am Zerbrechen einer Ehe zu klären und auch nicht darum, das Faktum einer Ehe in ihrer soziologischen Wirklichkeit zu ignorieren und aus der Lebensgeschichte zu löschen.
Wohl aber kann geprüft werden, ob beide Ehepartner die Voraussetzungen erfüllten, eine rechtsgültige Ehe im Hinblick auf ihre religiöse Dimension zu schließen.
Diese Prüfung erfolgt in einem so genannten Ehenichtigkeitsverfahren (Eheannullierung).
Auf welche Gründe kann sich ein Ehenichtigkeitsverfahren stützen?
Zwei Gruppen von Nichtigkeitsgründen werden unterschieden: Gründe, die den Ehewillen der Brautleute betreffen, und Gründe, die sich auf ihre Ehefähigkeit beziehen.
Zu den so genannten Willensmängeln, die das Eheversprechen selbst berühren, werden die Ablehnung der Unauflöslichkeit der Ehe, der ehelichen Treue oder der Vorbehalt gegen Kinder und die Ablehnung der Ehe selbst (Scheinehe) gezählt.
Ehen, die unter Zwang, unter Vortäuschen falscher Umstände, wegen eines schwerwiegenden Irrtums oder unter einer Bedingung eingegangen werden, sind gleichfalls nicht gültig geschlossen.
Ernste Schwächen in der Persönlichkeitsstruktur der Brautleute können auch die Nichtigkeit der Eheschließung zur Folge haben. Beide Partner müssen nämlich erkennen und kritisch prüfen können, worauf sie sich mit der Heirat des konkreten Partners einlassen, und sie müssen in der Lage sein, die Ehe dauerhaft als eine Partnerschaft zu führen. Psychische Erkrankungen, Abhängigkeiten von Drogen oder Alkohol sowie erhebliche Reifungsdefizite zur Zeit der Heirat können ursächlich für eine solche Unfähigkeit sein.
Wie gestaltet sich das Verfahren?
Am Anfang dieses Verfahrens steht die Behauptung eines der Ehepartner, dass die Vermutung der Gültigkeit aus einem der oben genannten Gründe für die eigene Ehe nicht zutrifft. Wegen ihrer religiösen Bedeutung genießt die Institution Ehe besonderen Rechtsschutz. Das bedeutet, dass nicht allein aufgrund einer Nichtigkeitsbehauptung von der Gültigkeit der Eheschließung Abstand genommen wird, sondern für die Richtigkeit der Behauptung ein hinreichender Nachweis erbracht werden muss.
Das Verfahren dient dazu, die Vermutung über den rechtsgültigen Eheabschluß zu entkräften.
Gegner des Verfahrens ist somit nicht der jeweils andere Ehepartner, sondern die Ehe selbst, die als bestehend angenommen wird.
Wer entscheidet?
Über die Nichtigkeitsbehauptung entscheidet ein Kollegium von drei kirchlichen Richtern, die unabhängig voneinander das zusammengetragene Aktenmaterial prüfen und zu einem Ergebnis kommen müssen, ob der Nachweis der Nichtigkeitsbehauptung erbracht werden konnte.
Wurde das nach der Mehrheitsmeinung des Kollegiums nicht erreicht, wird an der Vermutung der Gültigkeit der Eheschließung festgehalten.
Steht für die Richter die Nichtigkeit der Eheschließung aber fest, wird das erstinstanzliche Urteil in zweiter Instanz überprüft. Bestätigen die Richter zweiter Instanz das erstinstanzliche Urteil, gelten beide Partner wieder als ledig, so dass eine kirchlich legitime Wiederheirat möglich wird.
Weicht das zweitinstanzliche Urteil von dem der ersten Instanz ab, wird in dritter Instanz erneut geprüft. Liegen dann zwei gleichlautende Urteile vor, endet der Rechtszug.